Das übliche Inferno

„Is it loud enough?”: Motörhead in der Stadionsporthalle Hannover Die Begrüßung ist so knapp wie klassisch: „We are Motörhead. We play Rock ’n‘ Roll.” Okay, dann wissen wir das auch. 3000 Fans in der hannoverschen Stadionsporthalle halten sich am Bierbecher fest und freuen sich auf das, was nun kommt: das übliche Motörhead-Inferno.

 Lemmy Kilmister, Phil Campbell und Mikkey Dee pflegen einen Rock ’n‘ Roll der besonderen Art. Motörhead, dessen Debüt bereits vor 27 Jahren erschien, hat sich – bei in diesem Genre unüblich wenigen Umbesetzungen – mit kompromissloser Härte und dem üblichen stumpfen „Sex, Drugs & Rock ’n‘ Roll”-Image einen legendären Ruf erarbeitet. „Everything louder than everyone else” heißt ein Album der Band von 1999, und dieser programmatische Satz steht auch 2004, bei der Tour zum neuen Album „Inferno”, auf vielen Fan-T-Shirts. Motörhead steht für mörderische Lautstärke, brutalen Sound, rabiate Schnelligkeit – aber niemand würde die Band zu den Schwermetallern zählen. Es geht um Rock ’n‘ Roll, nichts sonst.
Lemmys röhrender, verzerrter Basssound, der so klingt wie das, was man bei ihm als Gesang bezeichnen muss, ersetzt locker einen tiefer gestimmten zweiten Gitarristen und verbündet sich mit der ins Ohr schneidenden Breitseite von Gitarrist Campbell zu einer Schallmauer, die Schlagzeuger Dee auch mit härtestem körperlichen Einsatz nicht niederknüppeln kann. „Is it loud enough?”, fragt Lemmy zwischendurch besorgt. Man wagt nicht zu widersprechen.
Und doch, bei aller offenkundigen Brachialität – die Wucht dieses Schall gewordenen Hammers verliert sich in der Breite und Höhe der Halle. Was den Zuhörer im Capitol vor vier Jahren noch unmittelbar körperlich packte (die Bassdrum in der Magengrube, die Gitarrensoli zwischen den Ohren), das geht hier einfach unter. Da machen drei reifere Herren zwar ordentlich den Radau, für den sie berühmt sind, spielen ihren Rock ’n‘ Roll hart und schnell, so wie es im Was-ein-echtes-Motörhead-Konzert-ausmacht-Lehrbuch steht – so what?
Mickey Dee wirbelt die Sticks, Phil Campbell schnippt die Plektren, und Lemmy Kilmister wirft den Hals in den Nacken – Abziehbilder des Rock-Business. Und während Lemmy in Plauderlaune ist, beinahe jeden Song ansagt und sich immer wieder nach dem werten Wohlbefinden im Saal erkundigt, verhält dieser sich recht still. Die Sekunden zwischen den Songs sind eben wertvolle Schonzeit für die Ohren, da macht man selber lieber keinen Lärm.
Zum Zugabenblock setzen sich Campbell und Dee an akustische (!) Gitarren, Lemmy lässt seinen Bass im Ständer und zückt eine Mundharmonika. Ja, was ist das? Ein Blues, akustisch, unplugged, gut und dreckig! Aber dann, als Wiedergutmachung, folgt „Ace of spades”, das volle Brett, ebenso wie bei „Overkill”, wo die Double-Bass eine optische Entsprechung in Stroboskop-Dauerfeuer findet. Da glühen die Ohren – die roten Augen des Bandmonstermaskottchens im Bühnenhintergrund.
HAZ 09.12.2004

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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