100 auf Jogi
Aber half ja nun alles nix, diese Party war absoluter Pflichttermin für die
Clique: Der Kapitän feierte Abschied bei sich daheim am Teich. Nächste Woche
schiffte sich Mike mit Familie nach Übersee ein, gezwungenermaßen. Seit Onkel
Becker den Deal mit dem Russen klargemacht hatte, hatte der gute Mann richtig
die Buchse voll. Mike war nämlich nicht gerade Diplom-Übersetzer. Englisch
Förderunterricht!
Auf jeden Fall hatte Mike eine exquisite Highclass-Gästeliste zusammengestellt,
gesetzte fünf Sektkelche in der „Bunten“, keine Blagen und Läufer,
ausschließlich erste Reihe. Natürlich die komplette Münchner Komakolonne um
Kalle und Udo, der Freundeskreis „Weinschorle 1987“ mit Schriftführer Wonti, die
Kristallweizen-Crew um Töpperwien, verdiente Thekenkräfte vom Ligaverband, sogar
die Althauer vom WDR um Werner und Heribert hatten sich angesagt, außerdem
natürlich jede Menge gepflegte Bolerobunnys aus dem P1. Es wurden also keine
Gefangenen gemacht, Ehrensache, dass die Clique gleich mal vier Sitze Business
gebucht hatte, wenn auch nicht in Originalbesetzung. Troll hatte wie so oft in
letzter Zeit gekniffen, ganz dringende Geschäfte in der Schneise. Jaha, von
wegen, wahrscheinlich musste Troll endlich mal wieder die Pfandflaschen zum
Supermarkt bringen. Dafür hatten wir aber Horny Mike an Bord. Unser
Nachwuchsmann aus der Tablettenmetropole brannte auf seinen Einsatz, tänzelte
auf der Stelle, war heiß wie Frittenfett. „Gestatten, Ed von Schleck!“, grinste
der Azubi und warf sich neben mich in den Business-Seater. Allerdings wieder mal
Minuspunkte für das indiskutable Erscheinungsbild: Schuhe mit Außenborte, Jeans
von Werner Metzen, die Haare mit dem Suppentopf geschnitten, streng genommen
hätte Horny auch in Leverkusen bleiben können. Mit dem Rotkreuz-Outfit war bei
den verwöhnten Münchner Gören jedenfalls kein Trostpreis zu gewinnen.
Als wir gegen neune in die Hofeinfahrt einbogen, hatten wir schon mächtig
Langeweile im Hals. Wir sprangen aus der Kiste und formierten uns routiniert zur
Partypolo, aber merkwürdig, keine Spur von der Promille-Posse weit und breit.
Nur Kahnemann lehnte in der Küche verdrossen am Kühlschrank. „Tach, Nummerzwo“,
grüßte Waldi herzlich, „wo sind denn die anderen?“ Kahn zeigte lustlos zur Tür.
„Sitzen alle im Fernsehzimmer. Neuer Bundestrainer wird gleich bekannt gegeben.“
„Und wo ist Verena?“ erkundigte sich Delle neugierig. „Beim Griechen“, knurrte
Olli. Keine weiteren Fragen, hehe.
Im Fernsehzimmer drängelte sich in der Tat die ganze Meute.
Wir schoben uns durch die Tür und linsten in Richtung Screen. Unterdessen hatte
Schnix schon eine Wette organisiert: „Wer tippt noch auf Doll?“ Storch, das
Mädchen und Stammkeeper setzten einen großen Blauen. Luke und Schweini hielten
dagegen, zweimal blau auf Kloppo. Nur Rummelfliege rief dazwischen: „100 auf
Jogi!“ Großes Gelächter, Kalle mal wieder! Dann rief Ballack plötzlich: „Stille!
Es geht los!“ Wir starrten auf die Glotze, Live-Übertragung aus der Schneise,
der neue Bundestrainer war... die Frisur! Absolute Stille im Zimmer. „Oh, mein
Gott!“, murmelte das Mädchen. „Kneif mich“, stammelte Schnix entgeistert. „Nicht
zu fassen, der Hütchenaufsteller wird Chef!“, stöhnte Mike. Die Stimmung war
natürlich auf Normalnull. Ausgerechnet die Frisur, Stimmungskiller Nr. 1, die
Schlafmütze aus Zimmer 4. Storch starrte ins Leere, Miro lachte hysterisch, nur
der kleine David mopste sich: „Also, ich bin mit dem Joachim eigentlich immer
sehr gut klar gekom...“. Weiter kam er nicht. „Klappe, Bambi“, knurrte der
Kapitän, „sonst frühstückst du morgen wieder in der Kita.“
Die Party erholte sich nur langsam. Der Schock saß allen mächtig in den
Gliedern, erst um ein Uhr nachts machten Kalle und Udo den Anfang auf der
Tanzfläche, dann schob sich auch Horny Mike aufs Parkett. Nicht zu fassen, der
Kollege hatte einen Rassehasen im Schlepptau, während Delle und ich immer noch
solo für Klarinette unterwegs waren. Wir blickten uns an und dachten wohl das
gleiche: Morgen gehen wir zum Frisör!