Tropfen für Tropfen
 

Wasser ist weltweit knapp geworden. Mehr als eine Milliarde Menschen haben keinen ausreichenden Zugang dazu.
Israel hat mit diesem Mangel zu leben gelernt. Die hier entwickelten Techniken sind gefragt – und wecken das Interesse von Investoren
    Von Silke Bigalke (SZ, 03.12.11)

Tel Aviv – Die Jojoba-Büsche beginnen gut acht Kilometer vor der Wüstenstadt Be'er Sheva. Sie stehen in langen Reihen, symmetrisch angeordnet, wie ein grünes Bollwerk gegen Sand und Staub. 340 Hektar fruchtbares Plantagenland hat der Kibbuz Hatzerim der Negev-Wüste abgetrotzt. Aus den Jojoba-Nüssen stellt die Gemeinschaft Öl für die Kosmetikindustrie her. In der Siedlung gleich neben der Plantage blühen Rosenstöcke. Palmen und Nadelbäume werfen Schatten auf die flachen gelben Häuser, die Rasenflächen sind sorgfältig gestutzt. Die Siedlung erinnert ein wenig an eine Ferienanlage, eine Oase in der Wüste. Nichts lässt vermuten, dass hier vor 65 Jahren nicht mehr war als graugrünes, drahtiges Gestrüpp und ein einsamer Akazienbaum.

Naty Barak war damals, in den Anfängen, nicht dabei. Er kam erst später nach Hatzerim, aber er kennt die Geschichten des Aufbaus und der vielen Rückschläge. Und er erzählt, wie das Projekt Landgewinnung schließlich doch gelang: durch Tröpfchenbewässerung. Dabei bringt ein Schlauchsystem das Wasser direkt zu den Wurzeln und gibt es dort tröpfchenweise ab. So verdunstet nichts. Die Technik brachte nicht nur die Hatzerim-Plantagen zum Florieren. Sie machte auch Netafim groß, eines der ersten Unternehmen, das von einem Kibbuz gegründet wurde. Später beteiligten sich zwei weitere Kibbuzim und zwei israelische Fondsgesellschaften.

Heute ist Netafim mit einem Weltmarktanteil von 30 Prozent führender Anbieter für Tröpfchenbewässerungssysteme, exportiert in mehr als 110 Länder, nach Afrika, Indien, China, aber auch nach Deutschland, wo die Niederlassung in Frankfurt Winzer und Landwirte berät und beliefert. 2010 setzte das Unternehmen mehr als 600 Millionen Dollar um. Das weckte das Interesse von Investoren: Ende September übernahm die Beteiligungsgesellschaft Permira 61 Prozent der Anteile. „Die Tröpfchenbewässerung wird in Schwellenländern wie Indien extrem wichtig werden, und Netafim ist die treibende Kraft für diese Technik“, begründet Jörg Rockenhäuser, Geschäftsführer von Permira in Deutschland, das Engagement. Hatzerim bleibt mit etwa 35 Prozent weiterhin beteiligt.

An all das dachte Naty Barak noch lange nicht, als er 1964 in den Kibbuz zog. Er wollte Farmer werden, die Wüste zum Blühen bringen, wie es sich Staatsgründer Ben Gurion gewünscht hatte. „Ich dachte, es sei das Richtige, in die Wüste zu ziehen und Teil einer anderen Lebensweise zu werden, etwas Neues aufzubauen“, sagt Barak. Heute ist er Chief Sustainability Officer von Netafim. In weißem Hemd und Anzug führt er durch die stickige Fabrikhalle. Dicht an dicht stehen hier blaue Maschinen, die kleine schwarze Plastikteile über Mini-Laufbänder in große Kartons spucken. Die Teilchen werden später in die langen Schläuche eingebaut, sie machen die Tröpfchenbewässerung erst möglich.

Netafim ist ein Beispiel dafür, wie die Not, die einst den Erfindergeist der Pioniere weckte, zum Standortvorteil wurde. In Sachen Wassertechnologie ist Israel eines der führenden Länder der Welt. Es zählte zu den ersten, die Meerwasser entsalzen konnten, heute bauen israelische Firmen Anlagen in China, Italien und Indien. Die USA ziehen das Land bei Fragen der Wassersicherheit zu Rate. Und sparsame Bewässerungsanlagen aus Israel nutzen auch Landwirte in Ländern, die reichlich Wasser haben, wie Deutschland. Schon jetzt exportiert das kleine Land jährlich Technik für sauberes Trinkwasser im Wert von 2,5 Milliarden Dollar, eine Zahl, die deutlich gesteigert werden soll. Die Regierung hat vor einigen Jahren unter dem Namen „Newtech“ eigens ein Programm gestartet, um israelische Wassertechnologie international zu vermarkten. Der Einsatz lohnt offenbar: Für jeden Dollar, der in Wassertechnologie investiert werde, wirbt Newtech, sei mit einer drei- bis vierfachen Rendite zu rechnen.

Denn der Bedarf nimmt rasant zu, Wasser ist weltweit ein knappes Gut. Schon heute haben mehr als eine Milliarde Menschen – jeder sechste – keinen ausreichenden Zugang zu sauberem Wasser.Nach Angaben der Vereinten Nationen wird sich der Wasserbedarf angesichts der wachsenden Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 verdoppeln. „Wassertechnologie ist ein boomender Markt, auf den auch Giganten wie General Electric oder Siemens setzen“, sagt Assaf Barnea, Geschäftsführer des Wagniskapitalgebers Kinrot Ventures. Er geht davon aus, dass der Markt für Wassertechnologie, auf dem nach seinen Angaben 500 Milliarden Dollar umgesetzt werden, jährlich um bis zu zehn Prozent zulegen wird.

Kinrot Ventures investiert in Start-Up-Unternehmen und Geschäftsideen rund um das Thema Wasser. Einst vom Staat als Förderinstitution gegründet, gehört es heute einem Wagniskapitalfonds mit internationalen Investoren. 13 Unternehmen unterstützt Kinrot derzeit, fünf haben Platz in einem Zentrum in Herzliya, nördlich von Tel Aviv, gefunden. Jeder Gründer hat hier sein eigenes Büro und 600 000 Dollar für die ersten beiden Jahre. Die Lobby aus champagnerfarbenem Stein verbreitet angenehme Kühle.

Yuval Susskind ist einer der hoffnungsvollen Jungunternehmer in dem Zentrum. Er entwickelt eine energiesparende Abwassertechnik. Wie das funktioniert, führt er anhand von zwei etwa 1,5 Meter hohen, mit Wasser gefüllten Glasröhren vor. In beiden Röhren steigen kleine Luftbläschen von unten nach oben. Sauerstoff ist wichtig, um Abwasser von organischen Resten zu befreien. Je länger der Sauerstoff im Wasser gehalten werden kann, desto mehr Abfall wird abgebaut. Hier setzt Susskinds Firma Diffusaire an: Während die Luftblasen in der linken Röhre einfach von unten nach oben steigen, pumpt die Anlage in der rechten Röhre den Sauerstoff von oben und unten gleichzeitig in die Röhre. Die Luftbläschen bleiben auf diese Weise länger im Wasser. „Etwa 1,5 Prozent des Stroms weltweit wird für die Klärung von Abwasser verbraucht“, sagt Susskind. „Wir sparen mit unserer Technik bis zu 25 Prozent dieser Energie ein.“

Im Nachbarbüro sitzt Isak Duenyas, ein Mann mit Glatze und grauen Schläfen, der zu den Älteren unter den Kinrot-Erfindern zählt. Sein Start-Up TA Count verspricht, innerhalb von fünf Minuten zu testen, ob Wasserproben sauber sind. Das ist ein beachtlicher Zeitgewinn, die Behörden brauchen für die Tests derzeit zwei Tage. Duenyas Wundermaschine ist ein gelber Kasten, etwas größer als eine Mikrowelle. Während bei den herkömmlichen Tests darauf gewartet wird, dass sich Bakterien vermehren, zählt TA Count die Bakterien, die das Potential haben, eine Kolonie zu bilden – wartet also gar nicht ab, dass sie es auch wirklich tun. Die Entwicklung hat schon das Interesse eines mächtigen Investors gefunden: Der Hongkonger Konzern Hutchison Whampoa hat sich mit 600 000 Dollar bei TA Count eingekauft, 1,9 Millionen Dollar will er laut Duenyas bald nachlegen. Ohne die Unterstützung von Kinrot, räumt der Unternehmer ein, wäre dieser Sprung wohl nicht gelungen. Es gebe viele Leute mit Ideen in Israel, sagt er und zeigt durch das Fenster nach draußen: „Die Cafés sind voll von Menschen mit Businessplänen.“

Doch es sind nicht nur die Chancen auf Milliardengeschäfte im Ausland, die Israel dazu treiben, Innovationen in der Wassertechnologie voranzubringen. Es ist auch die eigene Not. Wasser war in dem Land, das zu mehr als der Hälfte aus Wüste besteht, nicht nur in den Anfängen knapp. Es ist es heute mehr denn je. „Die Lücke zwischen Wasserressourcen und Bedarf wächst ständig“, sagt Abraham Tenne, der bei der staatlichen Wasserbehörde die Abteilung für Entsalzung leitet. Seine Behörde hat errechnet, dass Israel im Jahr 2050 zusätzliche 1,75 Milliarden Kubikmeter Wasser – fast doppelt soviel wie heute – benötigen wird. Gleichwohl leistet sich das Land einen – angesichts der Not – relativ hohen Verbrauch: 250 Liter pro Tag und Einwohner sind es, gut doppelt soviel wie in Deutschland. Als eine der Maßnahmen, diesen Verbrauch zu dämpfen, hat die Regierung die Wasserpreise vor zwei Jahren um 40 Prozent angehoben. Der Erfolg hält sich in Grenzen.

Zugleich wächst die Kritik aus den Nachbarstaaten und vor allem aus den Palästinensergebieten, wo der Mangel bedrohliche Ausmaße erreicht hat. Nach mehreren trockenen Wintern ringt die gesamte Region um Wasser. Ihre wichtigste Quelle, der Jordan, führt immer weniger davon. „Der nächste Konflikt in dieser Region könnte durch Wasserknappheit ausgelöst werden“, fürchtet Aaron Sagui, der im israelischen Außenministerium für Wirtschaftsfragen zuständig ist. Für Israel ist dies eine bedrohliche Perspektive. Denn den Großteil seines Trinkwassers bezieht es zum einen – über den Jordan und den See Genezareth – von den Golanhöhen, zum anderen aus Quellen im Westjordanland, beides unsichere Gebiete. Auch deswegen will das Land so schnell wie möglich unabhängig von natürlichen Ressourcen werden. Und der einzige Weg dazu ist bislang die Meerwasserentsalzung.

Mehrere Anlagen säumen die Mittelmeerküste, die meisten hat das Unternehmen IDE Technologies errichtet. Zum Beispiel in Ashkelon, nur wenige Kilometer vom Gaza-Streifen entfernt. Durch riesige Rohre strömt hier Meerwasser in die Anlage. Rechen halten zunächst Fische und andere Meerestiere auf, später wird der Sand herausgefiltert. Erst dann befördern dröhnende Hochdruckpumpen das Wasser weiter in das Herzstück der Anlage: eine Halle, die bis zur Decke mit Rohren gefüllt ist. Darin wird das Wasser unter hohem Druck durch Membrane gepresst. Das Salz bleibt hängen. Umkehrosmose heißt die Technik. Für einen Liter Süßwasser werden in Ashkelon zwei Liter Meerwasser benötigt.

Fredi Lokiec, der für Sonderprojekte zuständige Vorstand von IDE Technologies, führt zu einem kleinen Wasserhahn in der Mitte des Geländes: die Teststation. Das Wasser schmeckt metallisch, aber kein bisschen salzig. Lokiec trinkt nur einen Schluck, als würde er Wein verkosten. Wasser zu entsalzen ist teuer, weil es viel Energie verbraucht. Ein Kubikmeter aus Ashkelon kostete diesen Sommer aufgrund der hohen Energiekosten 0,85 Dollar, mehr als vier Mal soviel wie Trinkwasser aus natürlichen Quellen. „Wir versuchen, den Preis noch zu senken“, sagt Lokiec. Die drei IDE-Anlagen decken bereits ein Viertel des israelischen Trinkwasserbedarfs, weitere Anlagen sind projektiert. Bis 2013 sollen laut Newtech 35 Prozent des gesamten Frischwasserbedarfs in Israel durch Entsalzung gewonnen werden.

Ressourcenschonung ist das zweite Schlagwort. Israel verbraucht den größten Teil seines Wasser in der Landwirtschaft – etwa die Hälfte des Gesamtbedarfs fließt auf die Felder. Um dort kein Trinkwasser mehr zu verschwenden, recycelt das staatliche Wasserunternehmen Mekorot inzwischen 75 Prozent der Abwässer, um sie für die Landwirtschaft zu nutzen. So führen von der Kläranlage Shafdan im Süden von Tel Aviv dicke, rosafarbene Röhren in die Felder in der Negev-Wüste. Auf den ersten Blick sieht die Anlage, die laut Mekorot die größte im Nahen Osten sein soll, aus wie jede andere. In den großen, runden Becken wabert braunes, schlammiges Abwasser im Kreis. Nur der letzte Reinigungsschritt ist besonders: Ein Stück entfernt von der Anlage hat Mekorot Sandfelder angelegt, auf die das bereits gereinigte Wasser geleitet wird, um dort einzusickern.

Gal Shoham, Mitarbeiter von Mekorot, steht auf einem Hügel zwischen den Sandfeldern. Hier hat das Unternehmen eine Aussichtsplattform für Besucher gebaut mit lebensgroßen Rehfiguren aus Blech davor. Die End-Reinigung in den Feldern sei nicht billig, erklärt Shoham, ohne Zahlen zu nennen. Zugleich versichert er, dass er das geklärte Wasser sogar trinken würde, wenn es diesen letzten Schritt der Reinigung hinter sich hat.

Den Ideen werden keine Grenzen gesetzt. Den Müllberg Hiriya im Osten von Tel Aviv zum Beispiel will die Verwaltung in eine Oase verwandeln. Er soll mit Erde überdeckt und Teil des Ariel Sharon Parks werden, einer Art Central Park mit Flussläufen und Seen. Sogar aus dem Müll wird dafür Wasser gepresst: Alle Flüssigkeiten, die auf der Deponie anfallen, werden mit Hilfe von Pflanzen gereinigt. Das Ergebnis fließt in einen kleinen Teich neben dem Besucherzentrum von Hiriya. Es ist ein Lehrstück darüber, nichts zu verschwenden, keinen noch so kleinen, stinkenden Tropfen. Das Wasser für den kleinen Teich stammt aus drei Quellen: Aus dem Müllberg selbst, aus dem Waschwasser, mit dem die Mülltransporter gereinigt werden, und aus den Toiletten des Besucherzentrums.


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