Demographic Transition
Zukunftsblick: Einwohnerzahl sinkt „rapide“
(Göttinger Tageblatt, 23.02.10)
Seit zwölf Jahren nimmt die Zahl der Bewohner des Kreises
Göttingen ab, seit sechs Jahren rapide schnell. Und diese Entwicklung
nimmt kein Ende: In 15 Jahren leben vermutlich nur noch gut 124?000
Menschen in den Gemeinden rund um die Stadt Göttingen – 8,4 Prozent
weniger als 2008. Die Gemeinde Staufenberg schrumpft gar doppelt so
schnell wie der Durchschnitt, Rosdorf hingegen wesentlich langsamer. Und
die Kreisbewohner werden 2025 im Schnitt etwa 4,2 Jahre älter sein als
heute. Der Geograph Michael Waibel spricht gar von einer „Überalterung“
als Folge des Pillenknicks. Denn: „Kinder, die nicht geboren werden,
kriegen (später) auch keine Kinder.“ Waibel hat die
Bevölkerungsentwicklung in allen Gemeinden im Landkreis Göttingen
analysiert und ihre Entwicklung bis 2025 prognostiziert. Seine zentralen
Ergebnisse zum „demographischen Wandel im Landkreis“ hat er im
Bauausschuss des Kreistages vorgestellt. Die Ergebnisse in Kurzform ??Im
gesamten Landkreis Göttingen (ohne Stadt) gibt es „massive
Bevölkerungsrückgänge“ um 8,4 Prozent. Besonders heftig trifft es
Staufenberg mit minus 16,1 Prozent. Rosdorf trifft es durch ein noch
voll laufendes Neubaugebiet weniger stark, Gieboldehausen profitiert
durch besonders viele Zuwanderer. ??Das Durchschnittsalter in den
Gemeinden rund um Göttingen steigt von 43,1 (2008) auf 47,3 Jahre. Die
Bevölkerung in Staufenberg und Gleichen altert am meisten – Staufenberg
von 44,7 auf 49,5 und Gleichen von 42,1 auf 47,2. Die meisten Kommunen
pendeln sich nach einem aktuellen Altersdurchschnitt von etwa 43 Jahren
bei gut 47 Jahren ein. ? Differenziert nach Altersgruppen schrumpft der
Anteil der Zehn- bis 18-Jährigen und 35- bis 50-Jährigen am stärksten –
nämlich um 41 beziehungsweise 42 Prozent. Die Zahl der über 80-Jährigen
hingegen nimmt um 32 Prozent zu. Bis Ende der 1990er-Jahre gab es in den
meisten Gemeinden noch Bevölkerungszuwächse, im Kreis Göttingen mit plus
4,6 Prozent gar „überproportional“. Auch als die meisten Gemeinden in
Südniedersachsen und besonders die Harz-Kommunen Bevölkerungsrückgänge
verzeichneten, habe der Kreis Göttingen dem Trend noch getrotzt und sich
besser positioniert als seine Nachbarn, sagt Waibel. Zwischen
Bodenwerder, Bad Sachsa und Staufenberg sei die Bevölkerungszahl von
1998 bis 2008 um 5,5 Prozent gesunken, im Kreis Göttingen nur um 2,4
Prozent. Rosdorf, Gleichen und Bovenden hätten sogar als einzige
Gemeinden noch lange Zuwächse gehabt. Seit 2004 nehme die Anzahl der
Bewohner – außer in Rosdorf – aber auch im südlichsten Landkreis mit
minus 2,6 Prozent „fast dramatisch“ ab. Über den bisherigen
Analysezeitraum habe sich gezeigt, dass sich die Bevölkerung regional
und kleinräumig aber „äußerst ungleichgewichtig“ entwickle, ergänzt der
Wissenschaftler. Unter anderem würden periphere Gebiete im Landkreis
Göttingen tendenziell stärker schrumpfen als direkte Nachbargemeinden
der Stadt Göttingen als Oberzentrum. Aus der bisherigen detailliert
erfassten Bevölkerungsentwicklung und anhand etlicher
Zusatzinformationen hat Waibel inzwischen für jede Gemeinde die
Bevölkerungsentwicklung bis 2025 prognostiziert. Dabei schneidet neben
Rosdorf und Gieboldehausen auch der Flecken Bovenden mit einem Rückgang
von nur 7,2 Prozent etwas besser ab. Stärker trifft es neben Staufenberg
auch Hann. Münden (minus 9,8) und Duderstadt (minus 9,4). Waibel zieht
aus seinen Analysen und Prognosen auch wertende Schüsse und gibt der
Kommunalpolitik Tipps mit auf den Weg. Als längst erkennbar gewesen sei,
dass die Bevölkerung abnimmt, hätten viele Gemeinden noch schnell neue
Baugebiete ausgewiesen. Der Wissenschaftler findet das „paradox“. Damit
wachse die Gefahr, dass Häuser und Wohnungen lange leer stehen werden.
Die Räte in den Gemeinden und Samtgemeinden sollten ihren Fokus stärker
auf den Wohnungsbestand und Baulücken statt auf Neubauten legen. Vor
allem viele Häuser aus den 1960er und 1970er Jahren müssten saniert und
modernisiert werden. Ihr Standard sei für heutige Wohnansprüche meist
unzureichend. „Und man wird auch nicht umhin kommen, die ein oder andere
Schule zu schließen“, greift der Geograph auch einen sehr sensiblen
Punkt auf. Direkt beeinflussen ließe sich der demographische Wandel
nicht, so Waibel. Selbst wenn es den Politikern gelingen würde, die
Geburtenziffer um zehn Prozent anzuheben, sei der Erfolg gering: Auf
Basis der bisherigen Daten würde es 2025 im Landkreis Göttingen (ohne
Stadt) nur 900 Bewohner mehr geben. Der durchschnittliche Rückgang würde
sich also von prognostizierten minus 8,4 Prozent nur um wenige Punkte
auf minus 7,7 Prozent verbessern. Waibels Fazit: Der demografische
Wandel müsse von Politik und Verwaltung „gemanagt“ werden. Dazu gehöre
zum Beispiel ein koordiniertes Flächenmanagement. Und Potenziale für
eine bereits einsetzende Altenwanderung – zum Beispiel nach Münden –
sollten ausgeschöpft werden.
Mit den Auswirkungen der demographischen Entwicklung
auf den Wohnungsmarkt im Landkreis Northeim befasst sich dort gar ein
eigener Ausschuss des Kreistages. Er diskutiert auch, wie Städte und
Gemeinden beispielsweise mit ihrer Bauleitplanung reagieren sollten.
Ergebnisse zur Wohnungsmarktentwicklung präsentierten dort kürzlich die
Niedersächsische Förderbank (N-Bank) und der Regionalverband
Südniedersachsen. Auch sie kommen zu dem Schluss, dass es im Landkreis
Northeim in den kommenden Jahren ein zunehmendes Leerstandsrisiko für
Wohnungen geben wird. Gleichzeitig hätten die Städte und Gemeinden noch
Baulandflächen ausgewiesen, die weit über das Jahr 2026 hinaus reichten.
Diese Entwicklung werde sich verstärken, weil auch hier die Gruppe der
30 bis 44-Jährigen in der Bevölkerung deutlich zurückgehen werde. Ziel
müsse es darum sein, vorhandenen Wohnungsbestand zu pflegen. „Die
Innenentwicklung der Dörfer wird eine der Herausforderungen sein, der
sich die Städte und Gemeinden stellen müssen“, betonte Landrat Michael Wickmann (SPD). Ein erster Schritt sei die Erfassung von Haus- und
Wohnungsleerständen.
Sein Prognoseverfahren zum demographischen Wandel im Landkreis Göttingen
bezeichnet der Geograph Michael Waibel selbst als „innovatives“ Modell.
Während bisherige Verfahren die natürliche Bevölkerungsentwicklung – zum
Beispiel durch Geburt und Tod – in den Mittelpunkt stellen, analysiert
er in erster Linie Wanderungstendenzen (Umzüge). Die These:
Nahwanderungen sind eher wohnungsmarktbedingt, Fernwanderungen eher
arbeitsmarktbedingt. Zusätzlich bezieht er Faktoren wie Attraktivität
oder Infrastruktur eines Ortes ein.
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